Denn es gibt weder geistiges Eigentum noch Raubkopien
Es mag vielleicht keine Raubkopierer im Wortsinne geben - das ist sowieso ein selten dämlicher Begriff. Aber geistiges Eigentum gibt es zumindest im klassischen Modell des westlichen Kapitalismus durchaus. Man kann natürlich trefflich darüber streiten, ob Letzteres in unserer vollständig durchdigitalisierten Welt noch Sinn macht - aber bis die bisherige Idee des geistigen Eigentums durch ein neues Konzept abgelöst wird, muss man wohl oder übel noch ein Weilchen damit leben, und es notgedrungen akzeptieren. Daran ändert auch nichts, dass Du scheinbar gerade ein wenig sauer auf so manche Blüten bist, die Kopierschutz-Maßnahmen bisweilen treiben.
Die Idee, das Konzept des geistigen Eigentums (also Urheberrecht und verwandte Schutzrechte) abzuschaffen, finde ich übrigens durchaus interessant. Immerhin scheint bei einem Rechtskonstrukt, das von gefühlten drei Vierteln der Bevölkerung ignoriert wird, ohne dabei auch nur das geringste Unrechtsbewusstsein zu empfinden, irgendetwas nicht mehr zu stimmen. Dieses Konzept hat in der analogen Welt wunderbar funktioniert: Werke geistiger Schöpfung waren stets an einen dinglichen Gegenstand als Träger geknüpft (Buch, Schallplatte, ...). Zwar konnte - und durfte (zu privaten Zwecken in begrenztem Umfang) - man diesen Träger - und damit das eigentliche Werk - vervielfältigen, dies ging aber immer mit Qualitätsverlust und oft mit nicht unerheblichem Aufwand einher. Beides verhinderte recht wirkungsvoll, dass die Kopiererei ins Uferlose ausartete - genau wie dadurch bis heute verhindert wird, dass Leute im großen Stil Porsches "kopieren".
Dieser faktische Schutz ist durch die Digitalisierung ersatzlos entfallen - Kopien sind mit dem Original identisch, und der Aufwand geht sehr stark gegen Null. Und da der Mensch von Natur aus dem Weg des geringsten Widerstands folgt, und viel lieber nimmt als gibt, wird halt kostenlos genommen, was kostenlos erhältlich ist - und das nicht erst, seit Geiz geil ist. Ob das kostenlose Angebot auch legal ist, ist nebensächlich. Sobald jemand das Klonen von Autos erfindet, werden auch Porsches reihenweise "raubkopiert" werden. Alle seither entstandenen Maßnahmen, den ehrlichen Kunden zu gängeln - im Fachjargon Kopierschutz genannt, vermehrt auch Digital Restriction Management - zielen letztendlich darauf ab, eine Art der analogen Welt entsprechenden "digitalen Verfall" zu schaffen. Der eher mäßige Erfolg dieser Maßnahmen scheint denen Recht zu geben, die das als Holzweg der ewig Gestrigen sehen. Ich bin geneigt, dem zuzustimmen.
Die Frage ist, durch was geistiges Eigentum ersetzt werden soll - denn es steht außer Frage, dass geistige Wertschöpfung weiterhin auf angemessene Art belohnt werden muss. Schließlich müssen Künstler und Ingenieure auch in der Welt von morgen von irgendetwas ihre Brötchen kaufen können. Kulturflatrate? Das klingt auf den ersten Blick spannend, verkennt aber, dass die Leute schon heute gegen Rundfunkgebühren wettern. Warum soll ich die akustische Belästigung durch Lady Gaga mitfinanzieren, wenn ich viel lieber Radio Ga Ga höre? Daneben bleibt Software bei diesem Modell wohl außen vor. Das ist also auch keine Lösung.
Das Beispiel der Musik-Industrie zeigt aber, dass Menschen durchaus bereit sind, für legale Angebote zu zahlen - solange der Preis als angemessen empfunden wird, und die Nutzung einfach und nicht mit großen Einschränkungen verbunden ist. Sobald also ein nennenswerter Vorteil gegenüber illegalen Angeboten existiert - in diesem Fall ist es wohl die Einfachheit. Seit Apple, Amazon und Konsorten kopierschutzfreie MP3s anbieten, rennen ihnen die Leute die Türen ein. Und irgendwie haben es Apple und Google tatsächlich geschafft, diesen Erfolg auf Software zu übertragen - bisher nur für Mobiltelefone zwar, aber vielleicht lässt sich das Modell ja auf Programme für große Rechner übertragen. Hollywood und vor allem die TV-Branche sind noch nicht so weit - da haben die illegalen Angebote wohl nach wie vor die Nase vorn, was Vielfalt, Aktualität - und erstaunlicherweise Einfachheit - angeht.
Das größte Problem bei "großer" Software ist wohl, dass die verlangten Preise oft als nicht angemessen - sprich zu hoch - empfunden werden. Fragt sich, ob das tatsächlich der Fall ist - bei den Geschäftszahlen der großen Softwarehersteller könnte man durchaus geneigt sein, dies zu bejahen. Viel spannender ist aber, warum Leute für Autos fünfstellige Beträge gerecht finden, für Software, mit der man Autos bauen kann - und in der bisweilen genauso viel Entwicklungs- und Konstruktionsaufwand steckt - aber oft nicht mal zweistellige Beträge ausgeben wollen. Ein schöner Vergleich drängt sich natürlich in unserem Hobby auf: Modellbahner geben hunderte, wenn nicht gar tausende von Euro aus nur für einen einzelnen Zug. Beim virtuellen Gegenstück bekommt man für das gleiche Geld Dutzende von Zügen (die man noch dazu nach Belieben vervielfältigen kann und darf), und obendrein noch viele hundert Kilometer Gleisanlagen dazu. Und trotzdem wird Letzteres als zu teuer empfunden. Warum - weil man es nicht anfassen kann? Es muss doch eigentlich jedem klar sein, dass der Aufwand, ein virtuelles Modell zu bauen, mit dem für ein reales Modell vergleichbar ist. Liegt's an den Rohstoffpreisen?
Bis jemand die zündende Idee hat, wie man dieses Problem sinnvoll lösen kann, werden uns Raubkopierer wohl oder übel erhalten bleiben, und damit leider auch die oft arg fehlgeleiteten, so hilf- wie wirkungslosen Gegenmaßnahmen der Industrie. Hoffentlich kommt dieser rettende Einfall rechtzeitig, bevor Digital Restriction Management auch den letzten ehrlichen Kunden in den Wahnsinn und damit die Industrie sich selbst in den Ruin getrieben hat - und wird nicht zum Patent angemeldet.